27.05.2013

schnee (und fast weiß)


Die richtige
Position finden.

O

o
                                                                       o



Unterwegssein. Nicht ganz weit weg - dazu fehlt mir dann doch das intensivgeimpfte Fernweh-Gen - aber zumindest so weit, dass neue Bilder, Stimmungen und Gerüche Kopf und Herz füttern. Ich bin gerne mit dem Auto unterwegs. Einfach fahren, einfach los. Mich ungeleitet leiten lassen - und gehöre dabei noch zu denjenigen, die mit grober Orientierung auf die Straße gehen. Öfter mal abfahren. In Städten bin ich selten mit Stadtplan unterwegs. Einmal eingeprägt, ist der Sinn sehr ausgeprägt. Ein Wunsch, der seit vielen Jahren wächst, ist eine Deutschlandreise - quer durch, oben, unten und im Kreis. Plätze und Landstriche aufspüren, die mir bislang verborgen waren. Einmal alle >braunen Schilder< anfahren. Ja!

Und jetzt die Kurve. Letzter Stopp: Bad Neuenahr. Ich liebe es, in Kleinststädten und Kurorten auszusteigen. Es liegt ein so unglaublich verschlafener Atem über den Kernen. Und egal welches Ziel, in jedem Ort suche ich nach einem Café. Oft und gerne nach einem richtig altmodischen Café. Mit Gardinen und Sahnerosen auf den Torten. In dem Fall: >Konditorei Irmgartz<. Zwei Maikäfer aus Schokolade krabbelten in die Tüte - und auf den Teller für unterwegs legte sich ein Stück Eissplittertorte. Eissplittertorte! Ich bin verliebt in unbekannt. In halbgefrorene Sahnebaiserschichten, in Schokolade und Krokantkrümel, in den Knack zwischen den Zähnen. In die lächelnde Situation, wenn das Stück mit jedem Gabelstoß fast von der Pappe fliegt. In dieses Gefühl, etwas Neues kennengelernt, ein weiteres Wegstück gefunden zu haben. Gehört übrigens für mich definitiv auf so ein braunes Schild.

Wieder eine Kurve: Zuhause wurden sofort Eiweiß getrennt. Für Baisers - in weißer Voraussicht auf den Feiertag. Und die andere Hälfte, die Eigelb, suchten Verwendung. Eierlikör! Gibt es etwas, das noch mehr Kaffeekränzchen ist? Ich sage: nein. Und ich sage: der Eierlikör ist groß - und tendenziell schneeweiß. Oder schneegrau. Jedenfalls ganz wie ich es mag, denn mit der Farbe Gelb habe ich es nicht so. Orange genotet, gut im Fluss, aber nicht zu zäh. Einen Schleier auf das Glas legend. Und kaltgerührt. 

Aus sechs frischen (!) Bio-Eigelb (Größe M). Diese zusammen mit 150 Gramm Puderzucker und dem Handmixer fünf Minuten (mindestens) zu einer fast pastösen hellcremigen Masse aufschlagen. Dazu streut: Orangenzeste von zwei Früchten - und Vanillemark einer Schote. Als Flüssigkeit: 150 Milliliter frisch gepresster Orangensaft sowie Kondensmilch. Eine kleine Dose mit 170 Gramm Gewicht und Milchmädchen, 130 Gramm. (Ich habe es mit Sahne ebenfalls versucht, fand die jetzige Mischung jedoch besser.) Einstrahlen, vorsichtig - und immer rührend. Außerdem: 350 Milliliter guten Weinbrand. Sorgt trotz Farbe für diese Farbe. Ihr seht es ja. In Ruhe lassen - und ziehen. Zwei Stündchen. Nach der Pause durch Sieb (!) und Trichter dem Flaschenhals einflößen. Füllt insgesamt knapp einen Liter. Abnippen, möglichst zügig und streng gekühlt. Innerhalb von vier bis sechs Wochen sagt Tim, der die frohe Quelle ist.

Eissplittertorte gibt es später (dazu). Ich nippe noch - und bin dabei.

Immer wieder die richtige Position zu finden.
Darum geht es.

Der Abend sonnt.

Konditorei Irmgartz * Hauptstraße 103 * Bad Neuenahr-Ahrweiler

34 Kommentare:

  1. Solche Cafes mag ich auch, weil sie an das Wohnzimmer von Oma erinnern. Und ich mag Landgasthäuser. Am besten solche, die Restauration irgendwas heißen, mit Tischen auf denen karierte Deckchen liegen und in denen man bekocht wird, wie bei Mama.
    Liebe Grüße
    Stephanie

    AntwortenLöschen
  2. Wie immer sprachlos, bei soviel schöner Sprache....

    LG
    I.

    AntwortenLöschen
  3. Eierlikör ist nicht so meins, so wie du ihn allerdings beschreibst....eventuellstens von den Hühnern meines Vertrauens.
    Baisers aber! Kennst du den Trick mit dem heissen, fast schmelzenden Zucker aus dem Ofen?
    Liebe Grüsse!

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Habe ich von Ottolenghi: Den Zucker/Puderzucker auf Backpapier verteilen, in den Ofen bis er anfängt zu schmelzen (Vorsicht, er darf nicht karamellisieren!) Dann vorsichtig in das schon leicht schaumig geschlagene Eiweiss rieseln lassen (nicht leicht, mit dem Bogen Papier, geht aber...)
      Weiterschlagen, bis die Masse abgekühlt ist. Das kann gut 15 Minuten dauern....und wird mehr und mehr und mehr und richtig fest. Dann in eine Spritztüte und man kann die perfektesten kleinen Baisers spritzen. (vorausgesetzt, man hat den Zucker nicht, wie ich neulich, karamellisieren lassen, dann sind nämlich kleine Klümpchen drin.)
      Ich schwöre dir, das ist DER Trick für zarteste, trocken samtigen fastweissen Zuckerschnee.
      Liebe Grüsse!

      Löschen
    2. ich werde sicherlich auf ottolenghis baiserspur wandeln. danke, frau garanin - und grüße zurück. an den zeichentisch und in den hühnerstall!

      Löschen
  4. Ja, ich mag es auch. Deine Worte zu lesen und sich mit Dir in den kleinen Orten zu verlieren und träumend vor gebogenen Glastresen zu stehen. Ich muss unbdeingt mal wieder raus aus der großen Stadt. Eissplittertorte hört sich gut an. Eierlikör habe ich noch (selbstgemacht-mitgebracht) im Kühlschrank. Irgendwie nichts für mich. Schön von Dir zu lesen, liebe Grüße, Wiebke

    AntwortenLöschen
  5. ulma so ganz anders in orientierungsfragen, wie gedächtnislos verloren, leider. mit einer flasche eierlikör unterm arm aber halb so wild (und so erklärbar dann auch).

    AntwortenLöschen
  6. schrecklich schön - eierlikör

    deine fahrten
    wäre auch eher so dieser reisetyp
    verschreckt vom großen
    du machst lust aufs kleine

    und immer sehr froh über wieder daheim

    danke für worte und bilder
    hier und im kopf

    AntwortenLöschen
  7. fahRen. immeR deR nase nach. unoRientieRt-oRientieRt. mit kleinen pausen. unbekannte gesichteR. andeReR kaffee. ohja .... das mag ich auch. eieRliköR wenigeR. aus deiner hand jedoch Reizvoll.
    doch nein. dann liebeR zuckeRei. mit wenig weiß und ganz viel ei.gelb.
    liebe gRüße. käthe.

    AntwortenLöschen
  8. Klingt beides verlockend lecker: Eierlikör und Eisbaisertorte.
    Eierlikör vom Vater immer dick, fast zum Löffeln, ein Klassiker. Neuerdings auch ein Alternativrezept mit einem Hauch Sanddornsaft, von mir und der Mutter für noch besser befunden. Er bleibt dem Klassiker treu.

    Du, wenn Du auf Deutschlandtour kommst, mach hier Halt, bitte. Ích nehm Dich mit ins Café Stenzel. Sahnige Torte, alte Herrschaften und eine himmlische heiße Schokolade. Ja, bitte komm. :)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. unbedingt! noch ist es nur eine idee. aber soll man ja welche von haben :)

      Löschen
  9. klingt wunderbar, süß, nostalgisch und doch knackig.
    alte kurorten liebe ich und tradition kaffeehäuser noch mehr.
    kaffee gerne in kännchen. liebe grüße, éva

    AntwortenLöschen
  10. mit eierlikör habe ich es nicht. aber mit deiner deutschland-idee werde ich warm.
    ich begrüße dich im süden :)

    AntwortenLöschen
  11. eierlikörnahesfernweh. mhhhh!

    AntwortenLöschen
  12. du sollst ausflüglern, entdecken, spitzendeckenkrümeln und so wiederkommen. immer wieder. ton in ton auch hier. ich würde gerne den zeigefinger durch den eischnee ziehen. und ein bisschen splittern. und ein bisschen mitkommen. gute reise frl.!

    AntwortenLöschen
  13. Eissplittertorte & Bad Neuenahr! Gebäck & Ort meiner Kindheit & Jugend :-) Einen Abstecher nach nebenan, nach Ahrweiler, solltest du beim nächsten Mal machen. Viel pittoresker als das modische Kurstädtchen ... Ach, und die ganzen Dörfer die Ahr hoch, da finden sich noch viele, viele braunen Schilder!

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. gebäck und ort deiner kindheit? das finde ich jetzt irgendwie schön. und in ahrweiler war ich tatsächlich vorher schon mal - und irgendwann bestimmt wieder: weinstubendurchtrinkend.

      Löschen
  14. ich finde ja, diese braunen autobahnschilder sollten rosa oder zitronengelb sein, denn die verlockungen, die sie bieten, sind oft großartig und von mir geliebt. sollte dich deine orientierung einmal an die weser führen, so halte in bodenwerder, der heimat des herrn baron von münchhausen. im café lutz wirst du kaffeekränzchen-fündig. dort behalten die damen noch ihre hüte auf, weil die dauerwelle nicht mehr so gut liegt und die herren würden sich nur allzugern noch die havanna anzünden. und eierlikör zu haselnusseis - feiner geht es nicht!
    gute fahrt weiterhin!

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. find ich auch -
      braun verschreckt
      rosa lockt ;)

      Löschen
  15. lustig so haben wir es auch gemacht..münchen und alles große groß sein lassen. in dreiviertel stunden runden sind wir um 'unser' dorf gerollt..bzw. ich habe mich rollen lassen..noch viel schöner. echte prinsregententorte sollte es sein..

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. ich glaub's sofort. übrigens: du hast die bergsehnsucht geschürt. unglaublich ;) vielleicht klappt es im spätsommer - ich bleibe dran ...

      Löschen
  16. Eierlikör weckt Erinnerungen an Besuche bei den Großeltern. Dort gab es nach dem Essen für die Erwachsenen Cognac und für die Kinder Eierlikör. Ein Aufschrei würde heute durch alle Reihen gehen, gäbe man Kindern Alkohol. Früher war das so. Jahrzehnte habe ich keinen mehr probiert. Vielleicht wäre es mal wieder Zeit, dann aber für welchen mit leichtem Orangenaroma. Ich glaube, ich habe den Geschmack auf der Zunge.

    Zielloses Herumtreibenlassen im Auto... heute Thema bei Dir und bei Ti. Bei mir auch immer der Inbegriff von Urlaub. Ohne Uhr, ohne Termine im Nacken, ohne festes Ziel - abbiegen wo man sich gerade hinfühlt und anhalten wo es sich anfühlt. 8 Wochen Zeit, das Konto gut gefüllt - Traumurlaub in Deutschland. Irgendwann...

    Herzlich, Katja

    AntwortenLöschen
  17. ja das ist sehr schön, der gedanke.
    immer wieder anhalten, entdecken.
    ein weg als ziel

    aber weißt du,
    ich bin selbst in so einem kurort aufgewachsen
    und es ist so schrecklich schade, dass alles verschwindet,
    da man meint, 'modernisieren' zu müssen.

    das tortencafé am alten bahnhof
    der bahnhof selbst
    die eisdiele
    die alte räucherkate.

    alles weg.
    was bleibt:
    nichts.

    denn die jungen gehen
    die alten bleiben,
    trauern die schönen dingen nach

    diese orte sterben aus

    und wenn nicht, dann werden sie ganz schrecklich umgebaut,
    alles alte wird abgerissen und muss 'schicken' toskanavillen/-pavillios weichen.


    ein trauerspiel - . . . O O

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. ja alma, das stimmt. es ist wirklich oft ein (architektonisches) trauerspiel - und manchmal auch erschreckend, wie sehr die zeit stehen geblieben ist. die frage, ob ich selber in so einem ort wohnen wollen würde, habe ich mir oft gestellt. und am ende mit einem >nein< beantwortet.

      umso mehr finde ich es aber - fast schon unsere >pflicht< - die dinge zu bewahren. und wenn es nur durch den kauf eines stücks eissplittertorte passiert ;)

      Löschen
    2. und wie!

      bei uns war es die fabelhafteste himbeertorte der welt.
      (und dass, obwohl ich torten eigentlich gar nicht mag - zu sahnig, davon wird mir ganz anders ...)

      schön, dass du entdeckst :)

      Löschen
    3. daran haben aber nicht die architekten schuld, sondern die stadtbauräte, sowie die privaten bauherren selbst > toskanische villa und bebauungspläne, die von menschen gemacht werden, die mit architektur nichts am hut haben! möchte ich nur mal angemerkt haben..

      Löschen
    4. ja, das ist ja klar!
      die wenigsten sind zumal wirkliche architektenarbeiten, sondern eher fertighäuser.
      ein befreundeter architekt, der dort arbeitet, hat erzählt, dass die gemeinden unmengen (verhältnismäßig) für solche projekte ausgeben, jedoch nur sehr wenig für die entstandhaltung alter gebäude, die es ja durchaus noch gibt ...

      Löschen
  18. Das Bild vom Eischnee ist so lecker,
    dass...
    wenn ich 3 wäre...
    ich nun bestimmt am Bildschirm lecken würde.
    Hmmmmm!
    Marleen

    AntwortenLöschen
  19. Oh, du Wunderbare.
    Danke. Für deine zartschmelzenden Worte.

    Marie

    AntwortenLöschen

Ich danke dir – und freue mich :)